We followed the Hokkyokukô to Lapland

Nachdem wir am Samstagabend des 17. Juli noch in Langen in Jacobs Garten am prasselnden Lagerfeuer saßen und Martins Geburtstag feierten, saßen wir gut 24 h später und rund 2600 km weiter nördlich in den Kiefernwäldern Lapplands am See und lauschten dem Prasseln unseres ersten Lagerfeuers in Finnland. Es war ein sehr langer Abend, denn die Sonne mochte nicht untergehen und wir trotz unserer 9-stündigen Anreise (Flug und Auto) nicht so richtig müde werden. Es war Sommer am nördlichen Polarkreis. Wir hatten es also geschafft, unser erstes finnisches Trainingslager in der Heimat unseres Senseis konnte beginnen.

Gleich der erste Eindruck war überwältigend, denn bei unserer Ankunft empfing uns aufgrund absoluter Windstille und der Abwesenheit jeglichen Zivilisationslärms „ohrenbetäubende“ Stille … und … Schwärme von Mücken. Mit den Mücken arrangierten wir uns im Laufe der Woche dank Moskitonetz über dem Bett, Mückenspray, langer Hosen sowie der Unterstützung einer leichten Brise. Neben den milden Temperaturen konnten wir von durchweg sonnigen Tagen, dem kühlen Nass des Sees und von der sehr gut ausgestatteten Anlage profitieren. Zugegebenermaßen hatten wir uns auf mehr Rustikalität eingestellt, die jedoch eher darin bestand, Stunden auf dem See nach Hechten und Barschen zu angeln, den erfolgreichen Fang zu verarbeiten und zu brutzeln und bei mangelndem „Petri heil“ Würstchen am Spieß über dem offenen Feuer zu grillen. Wider Erwarten waren unsere Unterkünfte sehr komfortabel mit je zwei Zimmern à zwei Doppelstockbetten und einer Küche inkl. Geschirr sowie mit einem Bad ausgestattet. Zur Anlage gehörte neben einem Grillhaus auch ein Gemeinschaftshaus mit einem Kamin bestückten „Wohnzimmer“, zwei Saunen und einer größeren Küche samt Backofen. Trotz der dünnen Besiedelung in der Gegend um Lohijärvi gab es hundert Schritte von unserem Camp entfernt auch einen kleinen „Konsum“ (das ist ein kleiner Laden, in dem man die nötigsten Dinge des Lebens käuflich erwerben kann, allerdings ist mit Versorgungsengpässen und leicht erhöhten Preisen zu rechnen, westdeutsch: Tante-Emma-Laden). Die Infrastruktur wurde durch die 10-Fußminuten entfernte, sehr gepflegte Turnhalle komplettiert.

Aber genug von den „unbedeutenden“ und äußerlichen Annehmlichkeiten, denn schließlich war der Kern unserer weiten Reise mittels des „Polarlichts“ weitere Erleuchtung auf unserem Karate-dô zu erlangen. Auf diesem Weg begleiteten uns Gordian aus Frankfurt und 19 finnische Karateka. Zwei jeweils zweistündige Trainingseinheiten, davon eine morgens um zehn am See-Strand (To) und eine am Nachmittag in bereits erwähnter Turnhalle (Kan), dienten uns als Basis und wurden ergänzt durch eigene Einheiten unter Kiefern (Sho). Besonders intensiv beschäftigten wir uns mit den Katas Heian Godan, Tekki Shodan, Bassai Dai und Kanku Sho sowohl in technischer als auch in anwendungsorientierter Weise. Daneben waren Ristos Powerpack und Teilübungen der Hokkyokukô Schwerpunkte unserer schweißtreibenden Stunden.

Auch wenn die Zeit im Zeichen des perfekten Dreiklangs, der hier wie noch nirgendwo anders bisher erlebt, zu einer geschlossenen Einheit verschmolz und „Shotokan“ in seiner Reinform offenbarte, still zu stehen schien, hieß es nach fünf nicht enden wollenden Tagen Abschied nehmen.

Doch bevor wir unsere Heimreise nach Deutschland antraten, hatten wir die Gelegenheit zwei Nächte in Rovaniemi zu verbringen. Diese Zeit nutzten wir, um uns mit der Kultur der arktischen Völker, die ausführlich und eindrucksvoll im Arktikum dargestellt wurde, vertraut zu machen und für eine kleine Audienz beim Weihnachtsmann. In einem kurzen Gespräch ließ er durchblicken, dass er unser Dojo gut im Auge hat, jedoch mehr Anstrengung im Karatetraining erwartet, bevor er individuelle Wünsche am Jahresende erfüllen kann. Auf dem Lordi-Platz inmitten der Stadt konnten wir die leibhaftigen Fingerabdrücke der seit dem Eurovision-Song-Contest 2006 weltberühmten finnischen Monsterrocker bestaunen. Ein amüsantes Highlight ergab sich noch auf unserem Rückflug von Rovaniemi nach Helsinki, als wir Bekanntschaft mit Andy McCoy, dem scheinbar zugedröhnten Rocker und Sänger der mehr oder minder erfolgreichen (in der 80gern, aber nicht in Deutschland!) und bekannten (wir kannten sie nicht) finnischen Band „Hanoi Rocks“ und seiner beschwipsten Frau Nicoletta, die uns alles über die Geschichte der Band und ihre Reality-TV Serie à la „The Osbournes“ erzählte, machten.

Und eine gute Frage zum Schluss: hat es mit der Erleuchtung geklappt? Ja, denn Josi hat endlich ein gutes Gefühl für ihren Kokutsu-Dachi entwickelt und für mich hat sich wieder gezeigt, dass sich die perfekte Ausführung einer Kata nur mit regelmäßigem Bunkai erreichen lässt. Zudem haben wir einen Ort gefunden, an den wir gerne wieder zurückkehren möchten.


Erstellt am 24.09.2009. Letzte Änderung am 27.09.2009 von Tobias Holstein